Archiv für Schlagwort wissenschaftliches Publizieren

University Presses, 1955 und 2015

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Wer die Rolle der Verlage in den Geisteswissenschaften verstehen möchte, profitiert möglicherweise von einem Blick zurück. Vor ziemlich exakt 60 Jahren erschien in der Zeitschrift The Nation ein kurzer Artikel von Victor Reynolds, damals Chef der Cornell University Press, über die Funktion der Universitätsverlage in den USA, also der University Presses, die zu diesem Zeitpunkt immerhin bereits auf eine 85-jährige Geschichte zurückblicken konnten. Die von der Association of American University Presses herausgegebene und von Reynolds zitierte Rollenbeschreibung umfasst drei Aspekte:

  1. Sie publizieren Forschungsergebnisse zum Nutzen anderen Wissenschaftler, also der Wissenschaftsgemeinschaft.
  2. Sie publizieren lesbare und authentische Interpretationen dieser Forschung für eine allgemeine Öffentlichkeit („for the layman“).
  3. Sie publizieren Bücher, die die regionale Kultur und Geschichte behandeln.

 

Interessant sind aus Sicht der Wissenschaftskommunikation vor allem die Punkte (1) und (2).Wer die Folien von Peter Bekery von dessen Vortrag auf der Academic Publishing in Europe (APE) aus dem Januar 2015 dagegen hält, entdeckt eine bemerkenswerte Kontinuität. Der Publishing-„Mix“ 2015 umfasst Monographien „by scholars, for scholars“, so genannte Crossover Monographies sowie regionalgeschichtliche Publikationen. Also exakt das, was man auch 1955 im Programm hatte. Dazu kommen Literatur (vorwiegend in Übersetzung), Lyrik, Lehrbücher und Zeitschriften.


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Ein Blick in die Zukunft der wissenschaftlichen Kommunikation. Im Harvard Magazine

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden) zu

Craig A. Lambert (2015) The “Wild West” of Academic Publishing. The troubled present and promising future of scholarly communication. In: Harvard Magazien, January-February 2015

In der aktuellen Ausgabe des Harvard Magazine nimmt sich der langjährige und gerade in den Ruhestand eingetretene Redakteur Craig A. Lambert der Frage nach der Zukunft des wissenschaftlichen Kommunizierens („scholarly communication“) an.

Der Ausgangspunkt ist ein ökonomischer – Lambert bezieht sich auf die im vergangenen Jahr viel diskutierte Arbeit Capital in the Twenty-First Century von Thomas Piketty. Und auch uns wird während der fortlaufenden Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich die geisteswissenschaftliche Fachkommunikation verändert und mehr noch, wie sich diese Veränderung gestalten lässt, zunehmend bewusst, welche immense Rolle die Kategorie der Wirtschaftlichkeit spielt und zwar weniger auf Seiten der publizierenden WissenschaftlerInnen sondern viel mehr auf der Seite der Akteure, die die Rahmenbedingungen dieser Kommunikation koordinieren.

Über diese kommen die Probleme jedoch wieder zu den Wissenschaftlern zurück, wie Lambert am Beispiel der nach wie vor fast unverrückbar gegebenen Kopplung von Karrierechancen und Buchpublikationen in den meisten geisteswissenschaftlichen Disziplinen erläutert:

„The current reduction in library purchases of specialized titles, for example, is squeezing monographs out of the market, and in this way affecting the academic job market. A monograph has typically been a young scholar’s first book, often developed from a doctoral dissertation. Although uncommon in academia prior to the 1920s, monographs served as a staple of tenure reviews in American universities in the second half of the twentieth century, especially in the humanities. Academic presses now publish many fewer of them, and their disappearance creates a dilemma for junior scholars already worried about the scarcity of jobs: if there is no monograph, what evidence do you adduce to support your case for tenure“

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Social Media, Wissenschaftsforschung und das Kreditierungsproblem nicht-konventioneller Formen der Fachkommunikation

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Im Oktober 2013 veröffentlichte Diane Harley vom Center for Studies in Higher Education, University of California, Berkeley in Science einen Aufsatz, in dem sie sich mit Nachdruck für eine intensive Forschung zu den tatsächlichen Ansprüchen und Anforderungen von Fachgemeinschaften bei der wissenschaftlichen Kommunikation aussprach. Ausgangspunkt war die allgegenwärtige Prognose einer sich durch digitale Kommunikationstechnologien massiv verändernden Kommunikations-, Publikations- und letztlich auch Forschungspraxis:

„Over two decades many have predicted that models of scholarly communication enabled by emerging technologies will transform how research is conducted, disseminated, and rewarded. The transformation would be driven by new generations of scholars weaned on file sharing, digital piracy, Facebook, Twitter, and yet-unrealized social media technologies. „

Die wahrnehmbaren wirklichen Verschiebungen sind jedoch eher verhalten und weniger durch die technischen Möglichkeiten als durch persönliche Motivation, inhaltlichen Veränderungen im Wissenschaftsfeld und der Kreditierungspraxis der jeweiligen Disziplin geprägt. (vgl. Harley et al, 2010) Dies deckt sich weitgehend mit den bisherigen Erkentnissen aus den Fu-PusH-Befragungen, wobei sich die Rolle der technologischen Möglichkeiten dort verändert, wo sie tatsächlich zum Beispiel bei der Verbreitung von Inhalten maßgebliche Vorteile (bei überschaubarem Aufwand) bringen. In der Studie aus dem Jahr 2010 wird noch vermerkt:

„Blogs, RSS feeds, wikis, Twitter, etc., were not cited as common ways in which scholars broadcast and receive information.“ (Harley et al, 2010, S.14)

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Aktuelle Trends für den Forschungsworkflow. Eine Übersicht von Bianca Kramer und Jeroan Bosman

Über Twitter verbreitet sich heute eine Übersicht, die sehr anschaulich aktuelle Trends digitaler Wissenschaft an der gesamten Entwicklungslinie eines wissenschaftlichen Forschungs- und Kommunikationsprozesses abbildet. Die Abbildung ist Teil einer Posterpräsentation von Bianca Kramer und Jeroen Bosman, die unlängst auf Figshare publiziert wurde:

Kramer, Bianca; Bosman, Jeroen (2015): 101 Innovations in Scholarly Communication – the Changing Research Workflow. figshare. http://dx.doi.org/10.6084/m9.figshare.1286826.

Da das Poster und damit auch die Grafik wunderbarerweise unter einer CC BY SA-Lizenz stehen, können wir sie hier ebenfalls bedenkenlos dokumentieren:

Übersicht Research-Workflow
Übersicht Wissenschaftstrends / Bianca Kramer, Jeroan Bosman (2015)

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Sind Tweets verschriftliche Mündlichkeit?

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Dass ein großer Teil in digitalen sozialen Netzwerken textuell gefasster Inhalte eher als verschriftlichte Oralität zu bewerten ist, ist kein neue These. Vermutlich handelt es sich genauer um eine Hybridform zwischen dem Mündlichen und dem Geschriebenen. Wohin es sich mehr neigt, ist vielleicht eine Frage der Form, sicher aber eine der Intentionalität. Fraglos trifft zu, was die Bezeichnung „Social Media“ eindeutig macht: Diese Medienformen sind unmittelbarer als formalisierte Publikationsformen auf eine direkte soziale Interaktion, also eine sichtbare Kenntnisnahme und Reaktion, ausgerichtet. Sie mit formaleren Publikationsvarianten gleichzusetzen geht fehl. Schwierig ist jedoch ihre rechtliche Bewertung.

In diesem Zusammenhang tauchte die Frage nach dem Status solcher Kommunikationen im Anschluss an zwei Tweets und als Vorläufer zu einem Blogessay von Xiao Mina (Digital Culture is Like Oral Culture Written Down. In: medium.com, 11.01.2015) im Weblog des Juristen James Grimmelmann wieder auf.

In The Laboratorium (2d ser.) erläutert er:

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Von Tastaturen, Pfaden, Pferden und Innovationskulturen

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

I

Dank des Impact-Blogs der London School of Economics erscheint ein Text erneut auf der Bild(schirm)fläche, den Benedikt Fecher vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) im August im dortigen Institutsblog publizierte. In diesem erläutert er am Beispiel der Schreibmaschinentastatur, die bis heute auch in ihren Derivaten bis hin zu den Screen-Tastaturen der Smartphones scheinbar unverrückbar der QWERTY- bzw. QWERTZ-Anordnung treu bleibt, was Pfadabhängigkeit („path dependence“) nicht nur für die Technik selbst sondern auch für ihre Folgen bedeutet.

Eine solche Abhängigkeit ist, so Benedikt Fecher, immer dann gegeben, wenn eine in der Vergangenheit unter bestimmten Bedingungen (sich verhakende Typenhebel) getroffene Entscheidung auch dann noch maßgeblich wirkt, wenn diese Bedingungen gar nicht mehr vorliegen und entsprechend zu weniger optimalen Verfahren führt, die dennoch dominieren. Die Fachbezeichnung dafür lautet Lock-in phase.

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