University Presses, 1955 und 2015

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Wer die Rolle der Verlage in den Geisteswissenschaften verstehen möchte, profitiert möglicherweise von einem Blick zurück. Vor ziemlich exakt 60 Jahren erschien in der Zeitschrift The Nation ein kurzer Artikel von Victor Reynolds, damals Chef der Cornell University Press, über die Funktion der Universitätsverlage in den USA, also der University Presses, die zu diesem Zeitpunkt immerhin bereits auf eine 85-jährige Geschichte zurückblicken konnten. Die von der Association of American University Presses herausgegebene und von Reynolds zitierte Rollenbeschreibung umfasst drei Aspekte:

  1. Sie publizieren Forschungsergebnisse zum Nutzen anderen Wissenschaftler, also der Wissenschaftsgemeinschaft.
  2. Sie publizieren lesbare und authentische Interpretationen dieser Forschung für eine allgemeine Öffentlichkeit („for the layman“).
  3. Sie publizieren Bücher, die die regionale Kultur und Geschichte behandeln.

 

Interessant sind aus Sicht der Wissenschaftskommunikation vor allem die Punkte (1) und (2).Wer die Folien von Peter Bekery von dessen Vortrag auf der Academic Publishing in Europe (APE) aus dem Januar 2015 dagegen hält, entdeckt eine bemerkenswerte Kontinuität. Der Publishing-„Mix“ 2015 umfasst Monographien „by scholars, for scholars“, so genannte Crossover Monographies sowie regionalgeschichtliche Publikationen. Also exakt das, was man auch 1955 im Programm hatte. Dazu kommen Literatur (vorwiegend in Übersetzung), Lyrik, Lehrbücher und Zeitschriften.


Die Zahl der von diesen Verlagen publizierten Titel lag 1953 bei 1200, was 10 Prozent der gesamten Neuerscheinungen in den USA entsprach. Sie standen mehr oder weniger in Konkurrenz mit den kommerziellen Verlagen, aber eigentlich auch nicht. Denn ihnen fiel die Aufgabe zu, dort aktiv zu werden, wo kommerzielle Verlage eher kein Geschäft erkennen können: Beim Publizieren von wissenschaftlichen Titeln. Die Entscheidung zur Publikation in einem Universitätsverlag „is based on scholarly merit and usefulness, not on possible profit.“

Dies dürfte ähnlich für das literarische Programm der Universitätsverlage gelten, die damit im Prinzip literaturwissenschaftliche Forschungsgegenstände unabhängig davon zugänglich machen, ob sich ein Publikumsverlag auf die jeweiligen Texte einzulassen bereit ist.

Reynolds sah entsprechend, dass die kommerziellen und die Universitätsverlage unterschiedliche Absatzfelder ansprechen. Und die lagen überwiegend im geisteswissenschaftlichen Bereich. Von den 1200 Titeln kam mehr als die Hälfte aus diesem, ein Drittel aus den Sozialwissenschaften und nur ein Sechstel aus den Sciences. Auch bei Berkery dominieren die geisteswissenschaftlichen und die sozialwissenschaftlichen Bücher (Folie 6). Als Qualitätssicherung erwähnt er bei der Gelegenheit zwei Elemente als unverzichtbar: Peer Review und ein (vergleichsweise) sorgfältiges Lektorat.

Interessant in Reynolds Text wenn auch kaum überraschend an den University Presses ist weiterhin, dass sie mit ihrem Programm grundsätzlich eng an die Mutterinstitution, also die Universität gebunden sein sollten. Sie sollte vor allem deren Forschung bzw. Interessen spiegeln. Reynolds erwähnt Überlegungen,

„that the faculty of the university may be expected to provide manuscripts for at least a third of the books published”.

Assoziationen zu inneruniversitären Debatten um Open-Access-Repositorien scheinen hier nicht so abwegig und mit ein wenig mehr Zeit könnte man in eine vergleichende Diskursanalyse einsteigen. Legt man beide Ansätze gegeneinander, sieht man freilich auch die Lücke, die für die Wissenschaftler, wie die Fu-PusH-Befragungen ergeben, häufig entscheidend ist. Die mehr auf das Produkt Buch als den digitalen Kanal konzentrierten Universitätsverlage bieten im Idealfall (bzw. laut Berkery unverzichtbar) einen Schritt der Qualitätsveredelung des Outputs, den Repositorium in der Regel nicht abdecken können. Bei Gelegenheit empfiehlt sich sicher ein vertiefender Blick auf Akteure, die im Feld der Open-Access-Monographien genau in diese Lücke drängen. Unklar bei der Aussage von Reynolds ist, ob der Richtwert von „ein Drittel“ an den Universitätsverlag, also die verlagsseitige Akquise, oder die Wissenschaftler, also die einen Verlag suchenden Autoren, adressiert war.

Waren Universitätsverlage grundsätzlich und erklärtermaßen nicht darauf aus, Profite zu erwirtschaften, sondern Zugang zu relevanter Forschung zu ermöglichen, so mussten sie doch wirtschaftlich arbeiten. So war es auch 1955 notwendig, die Ressourcen zu bündeln und zum Beispiel den Vertrieb gemeinschaftlich zu organisieren. Die University of Chicago Press übernahm beispielsweise die Pflege einer Adress- und Mailing-Liste. Die Yale University Press koordinierte die Präsentation von Titeln der Verlage beispielsweise auf den Treffen von Fachgesellschaften. Cornell University Press kompilierte monatliche Neuerscheinungs-Newsletter und die University of Illinois Press halbjährlich annotierte Bibliografien, die an 200.000 Wissenschaftler verschickt wurden.

Im Jahr 2015 gerät das Finanzierungsmodell der Verlag, so Berkery, durch drei Aspekte unter Durck (Folie 7): Open Access, eine Channel Disruption, also die Veränderung der Vertriebswege zum Beispiel durch E-Books und entsprechende Machtkonzentrationen bei Akteuren wie Amazon, sowie die Verschiebung in den Bibliotheksbudgets, die häufig zu einer Verkleinerung des Etats für den Ankauf von Monographien führen. Umso wichtiger für das Bestehen der Universitätsverlage ist daher offenbar die Kooperation mit Partnern auch außerhalb ihres Geschäftsfeldes, wozu unter anderem Bibliotheken und Bibliotheksverbände gehören (Folie 9). Was Berkery als Outreach bezeichnet, könnte man auch prinzipiell als wechselseitige Öffnung begreifen. Denn dass es Publikationspartner gibt, die weitgehend no-profit-orientiert mit entsprechenden Know-How hochwertige Produkte geisteswissenschaftlicher Fachkommunikation in zeitgemäßen Medienformaten erstellen, vermitteln (und zur Gegenfinanzierung verkaufen), dürfte tatsächlich auch im Interesse von wissenschaftlichen Bibliotheken sein. Die Publikationsbedingungen der Gegenwart sind nicht weniger komplex als vor 60 Jahren. Eher im Gegenteil. Self-Publishing ist, wie sich zeigt, nur eingeschränkt eine Option. Institutionen die nach Relevanz und Qualität filtern sind nicht verzichtbar. Es liegt auf der Hand, dass Bibliotheken, Verlage und auch andere Akteure, die die oben zitierten Werte der University Presses teilen, an dieser Stelle ihre Aufgaben im Prozess der Wissenschaftskommunikation haben.

Quelle: Victor Reynolds (1955): Refuge to the Scholar. The University Press… In: The Nation, April 30, 1955, S.366-367

(Für einen aktuellen und ausführlichen Artikel zur Situation und den Herausforderungen an die University Presses siehe Scott Sherman (2014) University Presses Under Fire. How the Internet and slashed budgets have endangered one of higher education’s most important institutions. In: The Nation, May 26, 2014.)

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