Ein Blick in die Zukunft der wissenschaftlichen Kommunikation. Im Harvard Magazine

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden) zu

Craig A. Lambert (2015) The “Wild West” of Academic Publishing. The troubled present and promising future of scholarly communication. In: Harvard Magazien, January-February 2015

In der aktuellen Ausgabe des Harvard Magazine nimmt sich der langjährige und gerade in den Ruhestand eingetretene Redakteur Craig A. Lambert der Frage nach der Zukunft des wissenschaftlichen Kommunizierens („scholarly communication“) an.

Der Ausgangspunkt ist ein ökonomischer – Lambert bezieht sich auf die im vergangenen Jahr viel diskutierte Arbeit Capital in the Twenty-First Century von Thomas Piketty. Und auch uns wird während der fortlaufenden Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich die geisteswissenschaftliche Fachkommunikation verändert und mehr noch, wie sich diese Veränderung gestalten lässt, zunehmend bewusst, welche immense Rolle die Kategorie der Wirtschaftlichkeit spielt und zwar weniger auf Seiten der publizierenden WissenschaftlerInnen sondern viel mehr auf der Seite der Akteure, die die Rahmenbedingungen dieser Kommunikation koordinieren.

Über diese kommen die Probleme jedoch wieder zu den Wissenschaftlern zurück, wie Lambert am Beispiel der nach wie vor fast unverrückbar gegebenen Kopplung von Karrierechancen und Buchpublikationen in den meisten geisteswissenschaftlichen Disziplinen erläutert:

„The current reduction in library purchases of specialized titles, for example, is squeezing monographs out of the market, and in this way affecting the academic job market. A monograph has typically been a young scholar’s first book, often developed from a doctoral dissertation. Although uncommon in academia prior to the 1920s, monographs served as a staple of tenure reviews in American universities in the second half of the twentieth century, especially in the humanities. Academic presses now publish many fewer of them, and their disappearance creates a dilemma for junior scholars already worried about the scarcity of jobs: if there is no monograph, what evidence do you adduce to support your case for tenure“

Weder die Fachgemeinschaften noch die Infrastrukturanbieter noch andere Akteure haben trotz allem Hineindringen von alternativen Publikationsoptionen in das wissenschaftliche Publizieren bisher eine angemessene fachkulturelle Kompensation für dieses Problem durchsetzen können. Hier möglichst bald gemeinsam eine transformationsbegleitende Lösung zu finden, ist freilich gerade aus Sicht der NachwuchswissenschaftlerInnen außerordentlich relevant. Denn eine elektronische Open-Access-Dissertation mag zwar beim Rechenzentrum technisch problemlos publizierbar und in den Prüfungsordnungen als zureichende Publikationsform verankert sein. Solange sie aber nicht als standesgemäße und einer Monographie gleichwertige Publikation in der Community wahrgenommen wird, ist sie für alle in einer Geisteswissenschaft Promovierenden, die in der Wissenschaft eine Karriere anstreben, in der Regel keine Option.

Dass weniger Monographien von den Bibliotheken erworben werden und damit der Markt für dieses Produkt schrumpft, liegt u.a. auch an der Wissenschaftskommunikation der Anderen, nämlich der Zeitschriftenwissenschaften, die sich ungeachtet aller Alternativen nach wie vor in der Schraubzwinge steigender Subskriptions- und vielleicht demnächst auch zunehmender Publikationsgebühren befinden (zu den Hintergründen des so genannten Double-Dipping vergleiche auch einen aktuellen Aufsatz von Bernhard Mittermeier in der Zeitschrift Informationspraxis). Die Zeitschrift Science kostet im Jahr immerhin derzeit, wie der Artikel vermerkt, $26,675 im Jahr. Und so liest man im Jahr 2015:

„Even Harvard has curtailed subscriptions.“

Die Alternative, die im Aufsatz Lamberts unter der Bezeichnung „Free Scholarship“ entworfen wird, funktioniert andererseits nur bedingt in der Praxis. Denn nach wie vor gilt, womit Stuart Shieber zitiert wird:

„If you want to read something in Cell, for example, you have to pay Elsevier, which owns Cell—and if you don’t like their price, you’re out of luck.“

Dazu addiert sich für die Zeitschriftenfächer, dass die WissenschafterInnen, wie Lambert ausführt, bei der Wahl zwischen den prestigträchtigsten Journals (meist closed access) und der größten Reichweite (maximal bei Open Access) sich fast naturgemäß für Variante 1 entscheiden. Auch deshalb bleibt es beim Rich-get-richer-Prinzip.

Was den Aufsatz Lamberts abseits dieser trüben Gegenwartsbeschreibungen der Publikationsöknomie aus der Perspektive der Future Publications interessant macht, ist, dass er eben mit einem Blick in die Zukunft der wissenschaftlichen Publikationsformen endet.

Er, bzw. die von Lambert zitierte Bibliothekarin Sarah Thomas, setzt dabei auf den Topos von statisch vs. dynamisch:

„We’re having a kind of shift away from formal publications that are relatively static. In the old days, a published book would be bound between covers and sit on the shelf for centuries, maybe with some marginalia added. Now publishing has become dynamic: not individual authors, but multiple authors acting to create across geographical regions and across time.“

Praktisch zeichnen sich diese Effekte freilich bisher vor allem im Produktionsprozess ab und am Ende der Kette liegt meist doch wieder das gebundene Buch auf dem Tisch (für die Gründe siehe u.a. oben). „A kind of shift“ klingt daher angemessen unbestimmt. Auch für die Sciences hebt Sarah Thomas eher schwache Entwurfsprosa:

„Think about scientific publication. For centuries, the journal article has been the form in which scientists communicated. Now, it’s more likely to be an idea put out online by multiple labs, and it may change from day to day. You get alerts; there will be new information added; you’ll get corrections.“

Technisch ist das und noch viel mehr möglich. Hier und da drehen die Anbieter auch an entsprechenden Rädchen. Aber eine Revolution hin zu liquiden Dokumenten ist auch hier noch nicht zu beobachten (für die Gründe siehe u.a. oben). Diesbezüglich wohnt man noch ziemlich in der reinen Möglichkeit. Daher ist auch das „may“ im Ausblick passend gesetzt:

And academic careers may assume new forms. A few years ago, art historian Shearer West, now head of the humanities division at the University of Oxford, observed that in the future, scholars will publish one great book, and one great digital project.

Formal zeigen sich die von Lambert als zukunftsweisend gepriesenen Publikationen des Harvard metaLAB bisher vor allem als einige aktuelle Trends des Informationsdesigns aufnehmende Traditionalisten, die mit beiden Deckeln fest dem Printzeitalter verschrieben sind. Vielleicht ließen sie sich derzeit auch noch nicht in anderer Form verkaufen.

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