Social Media, Wissenschaftsforschung und das Kreditierungsproblem nicht-konventioneller Formen der Fachkommunikation

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Im Oktober 2013 veröffentlichte Diane Harley vom Center for Studies in Higher Education, University of California, Berkeley in Science einen Aufsatz, in dem sie sich mit Nachdruck für eine intensive Forschung zu den tatsächlichen Ansprüchen und Anforderungen von Fachgemeinschaften bei der wissenschaftlichen Kommunikation aussprach. Ausgangspunkt war die allgegenwärtige Prognose einer sich durch digitale Kommunikationstechnologien massiv verändernden Kommunikations-, Publikations- und letztlich auch Forschungspraxis:

„Over two decades many have predicted that models of scholarly communication enabled by emerging technologies will transform how research is conducted, disseminated, and rewarded. The transformation would be driven by new generations of scholars weaned on file sharing, digital piracy, Facebook, Twitter, and yet-unrealized social media technologies. „

Die wahrnehmbaren wirklichen Verschiebungen sind jedoch eher verhalten und weniger durch die technischen Möglichkeiten als durch persönliche Motivation, inhaltlichen Veränderungen im Wissenschaftsfeld und der Kreditierungspraxis der jeweiligen Disziplin geprägt. (vgl. Harley et al, 2010) Dies deckt sich weitgehend mit den bisherigen Erkentnissen aus den Fu-PusH-Befragungen, wobei sich die Rolle der technologischen Möglichkeiten dort verändert, wo sie tatsächlich zum Beispiel bei der Verbreitung von Inhalten maßgebliche Vorteile (bei überschaubarem Aufwand) bringen. In der Studie aus dem Jahr 2010 wird noch vermerkt:

„Blogs, RSS feeds, wikis, Twitter, etc., were not cited as common ways in which scholars broadcast and receive information.“ (Harley et al, 2010, S.14)

In den Fu-PusH-Interviews bestätigte dagegen ein größerer Anteil der Befragten (genauere Angaben geben wir nach Abschluss der Auswertung), dass diese Medien eine Rolle in ihrem wissenschaftskommunikativen Verhalten und auch im Informationsverhalten spielen. Die Ergebnisse der Studie und unserer Interviews sind sicher nicht direkt vergleichbar. Es zeichnet sich jedoch auch generell ab, dass in den vergangenen fünf Jahren spürbar Einstellungswechsel gegenüber „sozialen“ Medienformen erfolgten, wenngleich viele der bei Fu-PusH Befragten zugleich betonten, dass sie sich als Ausnahmen in ihrer Fachgemeinschaft sehen. Dennoch sind sie, wie der Blick in die Social-Media-Landschaft unschwer zeigt, keinesfalls mehr vereinzelte Pioniere. Zumindest Teilgemeinschaften ihrer Fachcommunities werden mit diesen Streumedien sehr gut erreicht und spätestens das Interesse an Social-Media-basierten Altmetrics auch von großen Playern im Wissenschaftssystem zeugt von bereits erheblicher Relevanz derartiger Medienformen. Als Forschungsfrage wäre nun beispielsweise interessant zu untersuchen, (a) ob mittlerweile weitgehend getrennte Kommunikationssphären entstanden sind (mit Social Media / ohne Social Media), (b) inwieweit sich dies in den Karriereverläufen niederschlägt und (c) ob es Brücken- und Vermittlungsakteure gibt?

Die von Harley in ihrem Artikel in Science aufgeworfene Aussage:

„It is questionable whether new forms of scholarship outside of the traditional peer reviewed formats, including large data sets, will easily receive equivalent institutional credit.“ (Harley, 2013)

können wir nach den Interviews für die Gegenwart präzisieren. Dass neue Publikationsformen – die in den (deutschsprachige) Geisteswissenschaften übrigens weniger am nicht erfolgten Peer Review auszumachen sind, sondern mehr daran, dass sie nicht in klassischen, also fachgemeinschaftsüblichen Verlagspublikationen erscheinen – nicht äquivalent zu den etablierten Formen und Formaten kreditiert werden, ist keinesfalls fraglich. Sondern ein Fakt. Gerade bei der Arbeit an Primärquellen, also etwa dem Aufbereiten, Erschließen und Annotieren, wird eine angemessene Kreditierung solcher Forschungsschritte als Desiderat benannt. Und u.a. in diesen Tätigkeiten liegen bekanntlich die Stärken der Digital Humanities, die somit fast zwangsläufig auf ein Kreditierungsproblem zusteuern. Sofern zu ihrem Konzept eines Tages ein fachkultureller Konsens erreicht sein sollte, könnten sie dennoch nicht zuletzt aufgrund des Kreditierungsproblems in der Rolle der Hilfswissenschaft und sogar womöglich Infrastrukturpraxis stecken bleiben. Gerade deshalb ist also Herausforderung in diesem „emerging field“, die Lücke zur wissenschaftlichen Kreditierbarkeit ihrer Leistungen zu schließen. Wobei bisher offen bleibt, ob dies zwangsläufig so aussehen muss, wie es Harley beschreibt:

„These outputs must be peer reviewed—and must be accompanied by an “interpretive” argument to receive such credit.“ (ebd.)

Man kann zweifellos feststellen, dass technische Möglichkeiten allein keinesfalls zu Verschiebungen im wissenschaftlichen Kommunikationsverhalten führen. Klar ist auch, dass Wissenschaft vor allem ein soziales Geschehen ist, das auf – im Wissenschaftsideal: selbst verhandelten – Werten, Regeln und Normen aufsetzt. Aus (und auf) diesem Grund müssen eine Technikentwicklung und eine Technologieforschung notwendig immer in Beziehung zu den von ihr betroffenen Fachkulturen und -gemeinschaften (sozialwissenschaftlich) untersucht werden. Daher freut uns von Fu-PusH natürlich außerordentlich, wenn Harley in ihrem Ausblick unseren Ansatz bestätigt und dies noch dazu mit Bezug zu einem zentralen Ausgangspunkt des Projektes, nämlich die Idee der erweiterten Publikationen (vgl. zum Konzept der enhanced publications auch Bardi, Manghi 2014):

„Do we know if most readers want publications bursting with embedded data and linked commentary (with possibly exorbitant production costs), or smaller slices of curated scholarship, as represented in traditional publication formats? Surveys with good response rates and discipline-based ethnographic studies could help answer this and the other questions posed above.“

Quellen:

Bardi, Alessia; Manghi, Paolo (2014). Enhanced Publications: Data Models and Information Systems. In: LIBER Quarterly, Vol. 23, Nr. 4, S. 240-273, apr. 2014. Online verfügbar: http://liber.library.uu.nl/index.php/lq/article/view/8445/9825 (Ein ausführliches Referat dieses Aufsatzes gibt es auch im LIBREAS:Tumblr.)

Harley, Diane (2013): Scholarly Communication: Cultural Contexts, Evolving Models. In: Science, 4 October 2013. Vol. 342 no 6154, S. 80-82. DOI: 10.1126/science.1243622 Online verfügbar: http://www.sciencemag.org/content/342/6154/80.full bzw.als Preprint: http://www.cshe.berkeley.edu/publications/scholarly-communication-cultural-context-evolving-models

Harley, Diane; Acord, Sophia Krzys; Earl-Novell, Sarah; Lawrence, Shannon; King, C. Judson (2010): Assessing the Future Landscape of Scholarly Communication. An Exploration of Faculty Values and Needs in Seven Disciplines. Berkeley: Center for Studies in Higher Education, UC Berkeley. Online verfügbar: http://escholarship.org/uc/item/15x7385g.

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