Posterpräsentation auf der DHd-Tagung 2015 in Graz

Vom 23. bis 27. Februar 2015 findet die zweite Jahrestagung (Programm) des Verbandes der „Digital Humanities im deutsprachigen Raum“ statt, die vom Zentrum für Informationsmodellierung (Austrian Centre for Digital Humanities) an der Universität Graz organisiert wird. Wir nutzen diese Gelegenheit um erste Zwischenergebnisse der durchgeführten Experteninterviews anhand einer Posterpräsentation vorzustellen:

 

Erweiterte Publikationen in den Geisteswissenschaften. Zwischenergebnisse des DFG-Projektes Fu-PusH

Poster abrufbar unter:

10.5281/zenodo.15432

Abstract von Ben Kaden und Michael Kleineberg

Das DFG-Projekt Future Publications in den Humanities (Fu-PusH) untersucht die Potentiale des digitalen Publizierens in den Geisteswissenschaften und erarbeitet szenarienbasiert Handlungsempfehlungen für akademische Infrastruktureinrichtungen, insbesondere Universitätsbibliotheken und Rechenzentren, um den funktionalen Anforderungen unterschiedlicher geisteswissenschaftlicher Fachrichtungen gerecht zu werden.

Für Publikationsformen, die sich nicht mehr an der Druckkultur orientieren und lediglich versuchen Printmedien digital nachzubilden, bietet sich die Bezeichnung „erweiterte Publikationen“ bzw. enhanced publications an. Solche Publikationsformen werden häufig als komplexe digitale Dokumente bzw. Dokumentensysteme charakterisiert, die sich unter anderem durch nicht-lineare Hypertextstrukturen, multimediale Zusatzmaterialien, integrierte Forschungsdaten, adaptive Darstellungsvarianten, dynamische Versionierung, kontextuelle Anreicherung sowie maschinenlesbare semantische Strukturierung auszeichnen. Ihre Vorteile liegen in einer engen Verknüpfbarkeit heterogener Elemente wie Digitalisaten, Textkorpora, Datenbanken, Annotationen, Normdateien, Geoinformationen und narrativ-interpretativen Auseinandersetzungen mit diesen Objekten.

Auf diese Weise bieten erweiterte Publikationsformen die Möglichkeit nicht nur die Forschungsergebnisse, sondern auch die zu Grunde liegenden Forschungsdaten bzw. Forschungsprozesse in einem gemeinsamen Kontext zur Verfügung zu stellen. Die Grenzen zwischen Bearbeitungsraum, Kommunikationsraum und Veröffentlichungsraum werden dabei sehr durchlässig.

Erweiterte Publikationen sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie die bisher in den Geisteswissenschaften und in der Druckkultur begründete Grundform einer narrativen Auseinandersetzung mit einem Forschungsgegenstand an mindestens drei Stellen öffnen:

Erstens ist ein direkter Bezug zu den Forschungsgrundlagen, also in der Regel dem Forschungsobjekt und entsprechenden Referenztexten dynamisch und strukturell realisierbar. Die multimediale Öffnung solcher Dokumente, also Einbettung und Relation zu Medienobjekten in anderen digitalen Darstellungsformen als Text kann hier zentral sein.

Zweitens wird das narrative Element selbst, zum Beispiel über semantische Tiefenauszeichnung, zu einem vielfältig vernetzbaren und analysierbaren Datum.

Drittens werden Interaktions- und Vernetzungsspuren dieses Dokuments – beispielsweise Annotationen, Zitationen, Rezensionen und Kontextualisierungen darstellbar und auswertbar.

Ob und wie sich derartige Publikationskonzepte tatsächlich in der Publikationspraxis der Wissenschaften durchsetzen werden, hängt freilich vom Bedarf und auch der Bereitschaft der jeweiligen Fachgemeinschaften ab.

Um auf diese Fragestellung einen substantiellen Zugriff zu erhalten, ermittelt das Fu-PusH-Projekt Bedarfe, funktionale Anforderungen und Einstellungen systematisch in Interviews mit ExpertInnen aus dem Bereich der Geisteswissenschaften, mit Vertretern von Infrastruktureinrichtungen sowie Verlagen und Anbietern alternativer Publikationsplattformen.

Bei den zielgruppenorientierten Befragungen handelt es sich um qualitative und offene Leitfadeninterviews, die ein möglichst breites Spektrum an Perspektiven und thematischen Facetten abdecken. Das Erhebungsinteresse schließt dabei neben technologischen Desiderata hinsichtlich digitaler Arbeits- und Publikationsumgebungen auch wissenschaftskulturelle, wissenschaftsstrukturelle sowie wissenschaftspolitische Anforderungen und Spielräume ausdrücklich ein.

Aus den Zwischenergebnissen der Befragungen lassen sich ein Ist-Zustand, eine Desiderats-Analyse sowie ein Perspektiv-Zustand hinsichtlich der Publikationskulturen in den Geisteswissenschaften heraus differenzieren. Damit werden aktuelle Transformationsprozesse in den Geisteswissenschaften genauso sichtbar, wie Einstellungs- und Handlungsmuster in Bezug auf Kategorien wie:

  • das wissenschaftliche Publizieren generell,
  • die Erhebung, den Umgang sowie die Nachnutzung von Forschungsdaten,
  • mögliche methodologischen Veränderungen unter dem Einfluss der Digital Humanities,
  • das Publikationsverhalten insbesondere vor dem Hintergrund von Open Access,
  • das Forschungsverhalten im Kontext von Open Science bzw. Open Scholarship,
  • das Qualitätssicherungsverfahren des wissenschaftlichen Publizierens (Peer Review, etc.),
  • die Dienstleistungen von Infrastruktureinrichtungen (z.B. Rechenzentren, Bibliotheken, Archive),
  • die von Wissenschaftspolitik und Förderinstitutionen gesetzten Rahmenbedingungen,
  • sowie mögliche Risiken im Zuge der digitalen Transformation.

 

Die Zwischenergebnisse des Fu-PusH-Projektes zeigen bereits sehr deutlich die Unterschiede im Forschungs- und Publikationsverhalten sowohl zwischen den Geisteswissenschaften und den so genannten MINT-Disziplinen als auch innerhalb des disziplinären Spektrums der Geisteswissenschaften selbst.

In diesem Zusammenhang soll die Frage verfolgt werden, inwieweit fachspezifische Publikationskulturen auch unterschiedliche technische und konzeptionelle Lösungen im Bereich der erweiterten Publikationen erfordern. Herausforderungen werden besonders bei Fragen der technischen Standardisierung zur Gewährleistung von Interoperabilität deutlich. Zudem zeigen sich Risiken, die generell von Technologien im Kontext der Digital Humanities ausgehen. Zum einen liegen bisher kaum Erfahrungswerte vor, mit denen sich eine tatsächliche Relevanzbewertung von Informationsinfrastrukturen bzw. Publikationsszenarien vornehmen lässt. Zum anderen besteht die Gefahr, dass neue technische Dispositive bestimmte Forschungs- und Erkenntnispraxen begünstigen und dafür andere weniger angemessen berücksichtigen.

Dies unterstreicht die Bedeutung der Modellierung komplexer Szenarien bevor Innovationsschritte angestoßen werden, da naturgemäß der Erfolg derartiger technischer Entwicklungen maßgeblich von der Passung mit dem tatsächlich Bedarf und den Erwartungen – auch perspektivisch – der jeweiligen Zielgruppen abhängt. Insofern, und dies ist eine zentrale Erkenntnis auch des Fu-PusH-Projektes, müssen Schritte von Seiten der Infrastruktureinrichtungen, die die Forschungsrealität der Wissenschaftsgemeinschaften betreffen, im Dialog mit diesen erarbeitet werden.

Das Poster bildet ausgewählte Ergebnisse aus einem Sample qualitativer Befragungen mit FachwissenschafterInnen ab und schlüsselt diese anhand der oben genannten Kategorien auf. Es eröffnet damit einen ersten Einblick in ein Perspektivbild für digital gestützte geisteswissenschaftliche Forschungs-, Publikations- und Kommunikationspraxen, das nach der Gesamtauswertung der in Fu-PusH erhobenen Daten sichtbar werden soll.

2. Februar 2015 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied
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