Die DFG-Fachinformationsdienste und die Anforderungen der Geisteswissenschaften. Zu einem FAZ-Artikel.

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Auf der Seite Forschung und Lehre der Frankfurter Allgemeinen Zeitung setzt sich heute (Mittwoch, 08.04.2015) der Historiker Martin Schulze Wessel sehr ausführlich mit der Umorientierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Bereich der wissenschaftlichen Literaturversorgung von Sondersammelgebieten (SSG), bei denen jeweils eine Bibliothek schwerpunktmäßig für ein Wissenschaftsfeld sämtliche verfügbare Fachliteratur zur erwerben anstrebt, in Fachinformationsdienste (FID), die die Fachinformationsversorgung in den Disziplinen flexibler organisieren soll:

„War es das Kernanliegen des alten Systems, durch einen umfassenden Bestandsaufbau nach einheitlichen Kriterien auf möglichst alle Anfragen aus der Wissenschaft reagieren zu können, so kehrt das neue System die Rollen um: Die Wissenschaft selbst soll künftig ihre Erwartungen und aktuellen Bedürfnisse artikulieren; den Bibliotheken wird der enge Austausch „mit bedeutenden Forschungsverbünden im jeweiligen Fachgebiet“ nahegelegt.“

Für eine ausführliche bibliothekswissenschaftliche Analyse der Entwicklung fehlen hier und heute Raum und Zeit. Daher sollen nur kurz zwei Aspekte vermerkt werden, die aus Sicht der Geisteswissenschaften und der geisteswissenschaftlichen Fachkommunikation im Artikel herausgearbeitet werden.

So betont Martin Schulze Wessel die Notwendigkeit einer möglichst vollständigen Sammlung aufgrund der Potenzialität kommender Forschungsfragen:

„Welche Themen künftig relevant sein werden, wissen wir nicht.“

Was heute nicht gesammelt wird, ist in dieser Zukunft häufig nicht mehr zu beschaffen. Die Sammlungen und Bestandsstrukturen wirken also unmittelbar auf die Forschungsmöglichkeiten und auch Forschungsagenden zurück. (Wie die umfassende Sammlung für digitale Quellen vor allem jenseits der offiziellen Publikationskanäle aussieht und gelöst werden kann, ist übrigens ein nach wie vor ungeklärter Aspekt.)

Der zweite für die Geisteswissenschaften bedeutsame Aspekt des Artikels ist die e-only-policy des FID-Programms, die, wie Martin Schulze Wessel erläutert, bedeutet, dass beim Vorliegen einer elektronischen Ausgabe diese lizenziert und nicht ein Exemplar der Druckausgabe für den Bestand erworben werden soll. Allerdings kann diese vorrangige Behandlung laut FID-Richtlinien der DFG eingeschränkt werden, „wenn es auch fachlicher Sicht nicht sinnvoll erscheint.“ Warum dies in den Geisteswissenschaften tatsächlich so sein kann, erläutert der Autor folgendermaßen mit einem ökonomischen Argument:

„Die DFG fördert nach eigenem Selbstverständnis den Erwerb des sogenannten „Spitzenbedarfs“, also die forschungsrelevante Literatur. Gerade für dieses Segment bietet sich der Erwerb elektronischer Medien nicht an. Spitzenbedarf sind in den Geisteswissenschaften Bücher, die aufgrund ihres Spezialisierungsgrads von ganz wenigen Personen gelesen werden. Für diesen Bedarf ist der Erwerb eines einzelnen gedruckten Exemplars sehr viel billiger als der Erwerb einer digitalen Lizenz. Fällt dennoch die Entscheidung für den Erwerb des e-books, so wird man aus Kostengründen den Kreis der Nutzer limitieren müssen, das heißt, man erwirbt keine Nationallizenz, sondern eine vielfältig eingeschränkte: auf eine Bibliothek, auf eine bestimmte Disziplin, möglicherweise auch auf bestimmte Statusgruppen.“

Das Problem einer klaren Lizenzierung und der jeweiligen Reichweite scheint in der Tat bei vielen GeisteswissenschaftlerInnen – so jedenfalls die Erfahrungen aus den Fu-PusH-Befragung – eher als Aspekte wie Lesefreundlichkeit und Materialität eine Hürde für einer weitreichendere Akzeptanz digitaler Publikationsformen zu sein. Ein Hauptanliegen dieser Disziplinen ist eine langfristige und dauerhafte Zugänglichkeit zu Quellen.

Aufgrund der oft als sehr kompliziert wahrgenommenen rechtlichen Lage digitaler Nutzungslizenzen, bei denen jeder Lektüre im Prinzip auch ein explizites nutzungsvertragsrechtliches Geschehen vorausgehen muss, vertrauen die WissenschaftlerInnen daher lieber auf das in dieser Hinsicht unkomplizierte und bewährte Prinzip des gedruckten Exemplars im Bibliotheksregal, das man unmittelbar jetzt und – so die Erwartung – auch in 50 Jahren ohne größere Hindernisse zur Hand nehmen kann.

Nationallizenzen wären für elektronische Bestände ein Lösungskonzept. Eindeutig und frei lizenzierte Open-Access-Publikationen ein anderes und dann besseres, wenn Bibliotheken eigene Archivkopien vorhalten dürfen. Die technischen Bedingungen der Absichterung der Langzeitverfügbarkeit digitaler Publikationen sind ohnehin schon Herausforderung genug. Die Fallstricke eines bei weitem noch nicht ausdifferenzierten digitalen Urheberrechts erschweren die Situation bekanntlich zusätzlich. Und wenn man der Position zustimmt, dass die Aufgabe wissenschaftlicher Bibliotheken eine Dekommodifizierung von Wissen für die Nutzung in der Wissenschaft ist, wäre eine e-only-Erwerbungspolitik in vielen Fällen auch aus bibliothekarischer Sicht nicht sinnvoll.

Da hilft es unter Umständen tatsächlich wenig, wenn die DFG verlangt:

„Produkte, die im Rahmen der DFG-geförderten Fachinformationsdienste erworben werden, müssen über geeignete Bereitstellungsmechanismen allen interessierten wissenschaftlichen Nutzerinnen und Nutzern über vertraglich festzulegende Modelle zugänglich gemacht werden können sowie langfristig nachweisbar und verfügbar gehalten werden.“ (DFG-Vordruck: Grundsätze für den Erwerb von Publikationen im DFG-geförderten System der Fachinformationsdienste für die Wissenschaft. DFG-Vordruck 12.101-12/12, S.1, PDF-Download)
Denn das muss erst einmal im Einzelfall umgesetzt werden und es ist sogar vorstellbar, dass dieser Passus ausschließt, dass bestimmte Quellen überhaupt angeschafft werden können oder am Ende ein äußerst restriktiver Nutzungsmodus (nur im Lesesaal an besonderen Terminals) steht, der alle Vorteile einer digitalen Ausgabe konterkariert. (So vermerkt das DFG-Merkblatt u.a. „Weiterverarbeitungsfunktionalitäten, wie z.B. der Download und das Ausdrucken von digitalen Inhalten für den persönlichen und wissenschaftlichen Gebrauch, sind Gegenstand der Lizenz.“ (S.7))
Ein „Hybrid“-Erwerbung von gedruckter und elektronischer Version, die den Nutzungsinteressen vieler GeisteswissenschaftlerInnen besonders entspräche, schließt das entsprechende Merkblatt der DFG übrigens weitgehend aus:

„Der Erwerb sowohl der gedruckten als auch der elektronischen Version eines Produktes ist nur in Ausnahmefällen möglich, die einer besonderen Begründung bedürfen.“ (DFG-Vordruck: Grundsätze für den Erwerb von Publikationen im DFG-geförderten System der Fachinformationsdienste für die Wissenschaft. DFG-Vordruck 12.101-12/12, S.2)

Quelle: Martin Schulze Wessel: Sammeln für die Interessen von morgen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. April 2015, S. N 4

8. April 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden
Veröffentlicht unter Literaturbericht

2 Kommentare zu “Die DFG-Fachinformationsdienste und die Anforderungen der Geisteswissenschaften. Zu einem FAZ-Artikel.

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