Die Rolle einer Zeitschrift für eine Community. Das Beispiel des Journal of Feminist Studies in Religion

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Das Bradford Law of Scattering, vor allem in seiner trivialisierten Form, ist vermutlich einer der wertvollsten und handlichsten Beiträge, die die Bibliometrie einer inter- und transdisziplinären Wissenschaftspraxis schenkte. Denn es lehrt, dass potentiell interessante Aspekte zur eigenen Forschung zwar bevorzugt in einer kleinen Gruppe so genannter Kernzeitschriften erscheinen, aber eben auch weit verstreut.

Was in vordigitalen Zeiten aufwendige, oft ernüchternde und selten wirklich umfänglich realisierbare Sichtungsarbeit darstellte, ist dank der fachübergreifenden Datenbankerschließung problemlos invertiert als neuer Vorteil zu definieren: gerade die Blicke auf einen Forschungsgegenstand, die nicht durch den Tunnel der Core Journals zu einem gelangen, erweitern bisweilen das Verständnis für die eigenen Gegenstand erheblich. Und häufig kontextualisieren sie die eigenen Überlegungen bestätigend und/oder kritisch.

In der Bibliothekswissenschaft steht man ohnehin vor der Situation, dass es für viele Themenstellungen keine perfekt passenden Kernzeitschriften gibt. Untersucht man nun zukünftige Publikationsstrukturen in den Geisteswissenschaften, kann man natürlich im Journal of Digital Humanities blättern und fündig werden. Aber es ist keineswegs davon auszugehen, dass alsbald die Entsprechung Humanities = Digital Humanities erschöpfend ist.

In gewisser Weise ist der Bestand der Kernzeitschriften für Fu-PusH das Feld der gesamten geisteswissenschaftlichen Zeitschriften, die sich mittlerweile selbst zur Digitalität der Wissenschaftskommunikation wenigstens positionieren. De facto kann also in jedem Editorial und in jedem methodologischen Beitrag etwas aufblitzen, was für unser Untersuchungsziel bedeutsam ist. Der schönste Nebeneffekt, jedenfalls für prinzipiell neugierige Forschende, ist dabei die Begegnung mit Zeitschriftentiteln, die man sonst eher nie entdeckt hätte.

Nehmen wir zum Beispiel das Journal of Feminist Studies in Religion. Die Herbstausgabe 2014 dokumentiert ausführlich die Ergebnisse des Roundtable Thirtieth-Anniversary Roundtable on the Significance and Future of JFSR. Die Zeitschrift selbst wird als ein neuer Raum für feministisches Denken definiert, den die Zeitschrift erst schuf, als Ort der Entfaltung und zugleich als Identität stiftendes Medium für die Community (vgl. Wong Wai Ching Angela, 2014). Kelsi Morrison-Atkins betont die Bedeutung des Weblogs zur Zeitschrift als Kollaborationsplattform in Verbindung zur Idee eines Kommunikationsraumes:

„In the past few years, the Feminism in Religion Forum blog has been one such fruitful space in which feminist scholarship becomes both accessible, personal, and engaging and I applaud the interactive and innovative work bloggers manage to do in 750 words.” (Morrison-Atkins, 2014)

Partizipativität und Kollaborativität sind fest und grundsätzlich in der Art von Wissenschaft verankert, für die das JFSR steht. Betrachtet man nun übergreifende Trends, scheint durchaus plausibel, diese Basisprinzipien feministischer Diskursivität als Vorbild dessen zu betrachten, was nun auch in anderen Bereichen der Geisteswissenschaften immer deutlicher wird. Die Ursache mag in dem von Anfang an gegebenen progressiven Ansatz und Gestaltungswillen liegen:

„The Journal of Feminist Studies in Religion does this: it expands writing in order to change the academy.“ (Hofheinz, 2014)

Wir können und müssen folglich fragen, in welchem Umfang, mit welchem Ziel und mit welchen Folgen bestimmte Prinzipien des Future Publishings auch epistemologische und wissenschaftskulturelle Praxen verändern. Eine Zeitschrift ist, auch wenn sie es nicht so offensiv expliziert wie es beim Roundtable des JFSR geschah, immer mehr als eine reine Plattform zur Abbildung von Forschungsresultaten. Sie wirkt integrierend (und auch exkludierend) als Medium der Konstitution von Wissenschaftscommunities. Sie lenkt Forschungsprogramme und vernetzt Akteure. Reden wir über die Zukunft des Publizierens, dürfen wir diese genuin sozialen Wirkungen eines Publikationsmodells nicht vernachlässigen. Wir müssen viel mehr fragen, inwieweit neue Publikationsstrukturen gerade diese Aspekte berücksichtigen. Und in welcher Form. Die Akzeptanz neuer Publikationsmodelle in den Wissenschaftsgemeinschaften dürfte maßgeblich davon abhängen, wie diese Funktionen einer Zeitschrift aufgegriffen werden.

Die Frage, wie zukünftige Publikationsstrukturen und Kommunikationstechnologien gestaltet sind, ist demnach offensichtlich nicht allein eine der Technik und auch nicht allein auf Optimierung und Ease-of-Use gerichtet. Sie ist sozial und sie ist auch politisch in dem Sinne, dass mit jeder neuen Technologie die Teilhabemöglichkeiten an der Wissenschaftskultur selbst neu ausgehandelt werden, dass Methodologien, Vorstellungsräume, Topoi und Selbstverständlichkeiten der Geisteswissenschaften ebenfalls hinterfragt werden müssen. Die Zukunft des Publizierens umkreist also nicht allein Entscheidungen wie die, auf welches Mark-up man sich einigt.

Sie betrifft ganz grundsätzlich die Wechselwirkung zwischen dem, wie und mit welchen Zielen wir forschen, wie wir unsere Forschung mit wem kommunizieren und in welchem wissenschaftskulturellen Rahmen beides abläuft.

Letztlich verhandeln wir nicht zuletzt intensiv neu, was als wissenschaftsrelevante Leistung gilt (vgl. exemplarisch für den Diskurs: Graf, 2014). Sind das Blogposting und der Zwischenbericht, ist die Datenaufbereitung, sind Begutachtungen und die wissenschaftliche Kommunikation lenkende, idealerweise verbessernde Tätigkeiten Leistungen, die in der Reputationsverteilung der Wissenschaft analog zu einem Forschungsergebnis und seiner Publikation honoriert werden sollen? Vermutlich ist bald der Konsens: ja. Im Anschluss ist dann aber zu klären: wie?

Einer der Beiträge der Herbstausgabe von JFSR trägt den Titel Accessing the Revolution und erläutert konkret Elemente des Publikationskonzepts dieser Zeitschrift, deren Ziel es ist (1) ein „alternative and equally valued publishing outlet“ anzubieten, (2) „[to] expand[..] what counts as scholarship“ und schließlich „[to] create[..] a network to sustain and support feminist scholars and scholarship“ (Ott, 2014). Diese Elemente sind möglicherweise typisch für eine progressiveres Verständnis der wissenschaftlichen Zeitschrift. Daher sollten sie hier registriert werden.

 

Qualitätssicherung mit Peer Review

Das JFSR ist, wenn man so will, ein Nachwuchsmedium, das gerade über die Integration eines Peer Review über den Gebrauch dieser traditionellen Qualitätssicherung der Wissenschaft einer feministische Forschungsagenda überhaupt erst durchsetzt(e):

„[P]eer review, when done well, provides important feedback to writers and subverts the traditional academic standards that label feminist work as additional or not serious.” (Ott, 2014)

Will man in der bestehenden Wissenschaftskultur ernstgenommen wurden, muss man nach wie vor nachweisen können, dass man deren Qualitäts(sicherungs)standards anerkennbar erfüllt. Auch wenn Peer Review angesichts offensichtlicher Nachteile bisweilen sehr kritisch und sogar als verfehlter Ansatz gesehen wird (vgl. u.a. Kaden, 2014) scheint es, solange weder breite Akzeptanz für ein Open-Review-Konzept noch überzeugende Beurteilungsalternativen vorliegen, stabil das Mittel der Wahl zu sein, wenn es darum geht, Publikationen als „wissenschaftlich“ akzeptabel zu kennzeichnen.

 

Vielfalt der Darstellungsformen

Weiterhin führte die Öffnung des JFSR auch für andere Publikationsformen als den klassischen Zeitschriftenaufsatz zu einem stärker auf Diversität und damit auch gesellschaftliche Wirkung gerichteten Verständnis von Wissenschaft. In gewisser Weise kann man auf diesem Weg die Hürde (oder den Klotz) Peer Review unterlaufen, indem man im organisatorisch selben Rahmen alternative und möglicherweise nicht Peer-Review-taugliche Darstellungsweisen unterbringt. Die Ausstrahlung der nachgewiesenen Wissenschaftlichkeit der Zeitschrift strahlt als Qualitätsausweis auch auf die redaktionell ausgewählten anderen Inhalte und sorgt im Idealfall für deren Anerkennung als rezeptionsrelevant. Die Bandbreite des wissenschaftlich Akzeptablen könnte sich mit dieser Parallelstellung langsam verschieben. Ähnliches gilt für die mittlerweile nicht mehr ganz seltene Lösung, den Rhythmus der Ausgaben einer Zeitschrift durch ein Weblog als permanentes und dynamisches Publikationsmedium u.a. für laufende Diskussionen zu ergänzen.

 

Netzwerkeffekte

Die Zeitschrift als Vernetzungspunkt für die in der Redaktion und die als AutorInnen tätigen WissenschaftlerInnen stärkte das Netzwerk der Community und führte, so Kate Ott, zu einem erwünschten Ideenpluralismus. Für die Autorin verkörpert die Zeitschrift selbst das Grundkonzept des Feminismus und steht dadurch gestaltend und responsiv mit dem Bezugsgegenstand selbst in Wechselwirkung. Hier wird zugleich erneut deutlich, dass eine Fachgemeinschaft stabile und zugleich offene Anlaufpunkte benötigt, die zum Beispiel von einer Zeitschrift oder einer Publikationsplattform repräsentiert werden können. Es ist bisher nicht absehbar, dass dritte und allgemeine Vernetzungsanbieter wie Virtuelle Forschungsinfrastrukturen oder Soziale Netzwerke speziell für WissenschaftlerInnen diese Funktion umfassend übernehmen. Ob dafür die Etabliertheit der medialen Struktur Zeitschrift oder beispielsweise die Streuung der sehr breit bzw. generisch ausgerichteten Netzwerkplattformen ursächlich sind oder ob andere Effekte greifen, wäre eine interessante medien- und wissenschaftssoziologische Fragestellung. Das Journal als Kumulationspunkt für Communities und zugleich natürlich auch als Ausgangspunkt für Forschungsevaluation erweist sich bislang jedenfalls als sehr robust. Andererseits gibt es gerade im Bereich der feministischen Studien, wie aus dem Beitrag hervorgeht, aber auch in anderen Geisteswissenschaften, wie unter anderem der Blog-Zusammenschluss Hypotheses zeigt, erfolgreiche Beispiele für in auch konzeptionell rein digitalen Strukturen wachsende Communities.

 

Weitere Trends

Darüber hinaus, so Kate Ott, sieht sich das Journal mit den aktuellen Trends der wissenschaftlichen Kommunikation konfrontiert:

  • der Übergang vom p- zum e-journal,
  • Open Access
  • kollaboratives und strikt ergebnisorientiertes Publizieren

 

Welche Rolle spielen die in diesem Feld regen Online-Communities, die Kommunikationskanäle benutzen, welche traditionelle printbasierte Strukturen inklusive den wissenschaftlichen Bibliotheken unterlaufen bzw. vermeiden. Wie wird der Einfluss von Social-Media-Technologien die Rolle und die Form von Zeitschriften verändern? Und welche Auswirkungen und welche Perspektive wird die Idee der (intellectual) Commons haben?

Dafür, dass netzbasierte und digitale Wissenschaft grundlegend anders gedacht werden sollte, trat die Autorin schon im April 2012 ein – passenderweise in einem Blogbeitrag:

„We need to stop trying to fit the square peg (or cloud) of on-line knowledge production and dissemination into the round hole (or paper copy) of current academic standards. Only then, can we imagine the possibilities of how knowledge itself is and will be different in the future. Only then, can we imagine the possibilities of how knowledge itself is and will be different in the future. There are certainly positive benefits and negative outcomes to these changes. I do not hold technology up as a cure all for any issue. What I’m asking is: how will we engage critically rather than idling ignoring the inevitable?” (Ott, 2012)

Selbst wenn eher nicht zu erwarten ist, das eine kritische und umfassendere Auseinandersetzung mit den Transformationen geisteswissenschaftlicher Kommunikations- und Publikationsprozesse den Weg zu Handreichungen und Szenarien zum „Future Publishing“ einfacher macht: Will man die in der Fu-PusH-Projektbeschreibung vorgesehene „Hintergrundanalyse der Forschungsformen der einzelnen Fachgebiete unter kultur- und sozialanthropologischen Aspekten“ sachgerecht durchführen „um deren Auswirkungen auf bestehende Veröffentlichungsbedarfe und künftige Veröffentlichungsformen zu identifizieren und zu analysieren“ (Fu-PusH, 2014), wird man auch die wissenschaftssozialen und wissenschaftspolitischen Dimensionen der „future publications“ im Blick behalten müssen.

 

Quellen

Fu-PusH (2014). Future Publications in den Humanities (Fu-PusH) – Beschreibung des DFG-Projekts. Arbeitspapier. Berlin: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität. PDF-Download

Klaus Graf (2014). Qualität wird überschätzt. Vortrag auf dem Göttinger Historikertag am 24. September 2014. In: Digitale Geschichtswissenschaft. 30.09.2014. http://digigw.hypotheses.org/1063

Hannah Hofheinz (2014). “I Will Write. But I Will Not Lie. Nor Will I Write Alone.” In: Journal of Feminist Studies in Religion. Vol. 30, Nr. 2, S. 145-148. http://www.jstor.org/stable/10.2979/jfemistudreli.30.2.145

Ben Kaden (2014). Felix Stalder über Diskursivität und Peer Review. In: LIBREAS. Weblog. 17.10.2014. http://libreas.wordpress.com/2014/10/17/diskursivitat_peer_review/

Kelsi Morrison-Arkins (2014). Celebration and Vision: JFSR as Collaborative Feminist Space. In: Journal of Feminist Studies in Religion. Vol. 30, Nr. 2, S. 163-165. http://www.jstor.org/stable/10.2979/jfemistudreli.30.2.163

Kate Ott (2012). What counts as Academic Writing? (Blog One: The Ethics of Technology Series). In: Feminist Studies in Religion Blog. 10.04.2014. http://www.fsrinc.org/blog/what-counts-academic-writing-blog-one-ethics-technology-series

Kate Ott (2014). Accessing the Revolution.In: Journal of Feminist Studies in Religion. Vol. 30, Nr. 2, S. 165-166, http://www.jstor.org/stable/10.2979/jfemistudreli.30.2.165

Wong Wai Ching Angela (2014). JFSR: A Journey for the Production of Feminist Space. In: Journal of Feminist Studies in Religion. Vol. 30, Nr. 2, S. 170-172, http://www.jstor.org/stable/10.2979/jfemistudreli.30.2.170

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