Das Vermaschen der Worte: Über Lexpionage und die Frage der passenden Benennung

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Wer im Gegenwartsdiskurs aktiv unterwegs ist, stößt mehr als gelegentlich auf die Herausforderung, für ein neues Phänomen eine treffende Benennung zu finden. „Enhanced Publication“ ist ein Vorzeigebeispiel.

Der Kanadier Paul McFedries trägt seit 1996 auf der Seite Wordspy.com Neuworte zusammen. Diese Tätigkeit nennt Lexpionage. Dank der Laufzeit von der mittleren Frühphase der Popularisierung des WWW bis zur heutigen digitalen Allseitsdurchdringung kann man anhand seiner Sammlung sehr schön die kulturelle Entwicklung unter dem Einfluss des Internets rekonstruieren. Das erste Wort bei Wordspy.com war allerdings wenig technisch dafür sehr passend: Logophilia (frühester Nachweis: Michel Foucault, 1970, Wordspy.com, 02.01.1996) Neun Tage später wies die Seite dann auf den Ausdruck Netspeak hin:

„The words, idioms, and pecularities of spelling and grammar that are characteristic of online documents and communication.“ (ebd. 11.01.1996)

Während Logophilia zeitlos leuchtet, liegt auf Netspeak mittlerweile der Staub der frühen digitalen Jahre und der Ausdruck Weblish (ebd. 12.12.2001) muss heute ebenfalls als Sprachantiquität gelten.

Der Micro-Browser ist gleichfalls historisch, allerdings auch historisch äußerst relevant, wurde mit ihm doch die Idee dar heute omnipräsenten Smartphones und Tablets vorgedacht:

„A small-footprint web browser that can be used with next-generation telephones and other small devices.” (ebd. 22.04.2014)

Das Web 2.0 erhielt seinen Eintrag kurz vor Weihnachten 2005 und ruft uns den Ursprung einiger Prämissen in Erinnerung, die wir heute auch für erweiterte Publikationsstrukturen heranziehen:

„A second phase in the evolution of the World Wide Web where developers use new technologies to create websites that look and act like desktop programs and encourage collaboration and communication between users.” (ebd. 22.12.2005)

Der Bereich indem wir uns zwangsläufig bewegen, ist der der Digitalia (22.08.1997):

„Computer hardware and software and other organs of digital technology, taken as a whole.“

ein Wort, das problemlos ins Deutsche integrierbar ist und für das sogar eine Erweiterung existiert: Digitalität (oder digitality, http://en.wikipedia.org/wiki/Digitality) zur Bezeichnung einer umfassend von Digitaltechnologie und digital vermittelten Interaktionen geprägten Lebenswelt.

Dazu gehört natürlich das Vorhabensein von Third Screens (bekannt als Idee seit 1998, bekannt dank wordspy.com seit 21.03.2003) und am Ende war es nur ein kleiner Schritt von den Screenagern (alle, die mit Bildschirmen aufwuchsen, wordspy.com, 06.07.1996) über, unvermeidlich, die Digital Natives (ebd. 10.04.2008) zum heute gegebenen Post-Internet, das erstaunlicher Weise im Wordspy-Index eigentlich hinter posthuman erscheinen müsste, es bislang aber nicht tut.

Ein, zugegeben eigenproduzierter, Existenzbeweis dieses Ausdrucks findet sich aber im LIBREAS-Tumblr (Kaden, 2014).

Das Wort zum heutigen Donnerstag ist schließlich von potentiell großer Bedeutung für konkrete Sachüberlegungen im Bereich der Future Publications: Media Meshing

„Using one or more media to enhance or augment the consumption of another medium. Also: screen meshing.” (wordspy.com 23.10.2014)

Mit digitalen, wenn man so will, post-Web-2.0-Interaktionsoptionen und dem gleichzeitigen Vorhandensein weiterer Medienformen inklusive – man denke an Plattformen wie Goodreads – dem gedruckten Buch oder – man denke an Geocaching – der physischen Lebensumwelt (sh. auch: glassed out, sh. auch annotated reality) verengen viele Menschen ihr Medienverhalten gerade nicht, was auch gegen eine Ablösungs- und Ersetzungsthese (beispielsweise: der E-Reader ist der Nachfolger des Buches) spricht. Sie nutzen sie vielmehr parallel oder sogar – man denke an QR-Codes, die in Printkontexten erscheinen – vermischt. Insofern ist Media-Meshing vermutlich zutreffender als das beschränktere Screen-Meshing. Dass sich eine der Varianten tatsächlich im Alltagssprachgebrauch einnisten wird, ist vermutlich nicht zu erwarten. Dazu wirken sie – im Gegensatz zum Smartphone (Erstnennung 1995, Wordspy.com 29.07.2004) etwas zu bemüht und zu wenig intuitiv. Aber sie stehen exemplarisch für etwas, was uns andauernd und seit vielleicht 25 Jahren intensiv im Zusammenhang digitaler Medialität begleitet: Wie benennen wir die Dinge, über die wir sprechen müssen? Je rascher technische und Verhaltensinnovationen uns mit neuen Phänomenen konfrontieren, desto wichtiger wird diese terminologische (oder auch: semionische bzw. semiurgische, vgl. Epstein. 2012) Praxis. Denn erst eine – möglichst exakte – Benennung macht ein Phänomen sprachlich konkret und verhandelbar.

Quellen:

Mikhail Epstein (2012). The Transformative Humanities: A Manifesto. New York: Bloomsbury

Ben Kaden (2014). Konzepte für den Gegenwartsdiskurs. Heute: Post-Internet.In: LIBREAS. Tumblr, 07.05.2014, http://libreas.tumblr.com/post/85016126981/postinternet

Paul McFedries: Wordspy.com (1996-2014). Einzelnachweise im Text.

23. Oktober 2014 | Veröffentlicht von Ben Kaden
Veröffentlicht unter Terminologisches

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