Digitale Schrift und digitales Schreiben

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Wer sich mit der Zukunft des Publizierens in den Geisteswissenschaften befasst, die mutmaßlich grundlegend digital sein wird, befasst sich unvermeidlich auch mit den Beschaffenheiten digitaler Dokumente und digitalen Textes. Daher ist die Auseinandersetzung mit Text- und Schrifttheorien für Fu-PusH auch sehr relevant. Ein interessantes Beispiel für die Beschäftigung mit der Digitalisierung des Schreibprozesses und damit auch digitaler Autorschaft stammt von dem Medientheoretiker Mark Poster, der 1990 in seinem Buch The mode of information. Poststructuralism and Social Context. (Chicago: University of Chicago Press, 1990) schrieb:

Zitat Mark Poster - 1990
Zitat Mark Poster – 1990

Die vielzitierte Textstelle (u.a. bei Matthew Kirschenbaum: Mechanisms. New Media and the Forensic Imagination. Cambridge: MIT Press, 2008, S. 41 und bei Kathleen Fitzpatrick:Planned Obsolescence: Publishing, Technology, and the Future of the Academy. New York: New York University Press, 2011, S. 201f. in Fußnote 4) hier als Screenshot aus dem PDF von Darren Tofts Aufsatz Driven to Abstraction. The Coming of the Digital Word. (In: Meanjin, Vol. 58, No. 2 (1999), S. 6-16, verfügbar via Swinburne Research Bank) und damit in immerhin sehr schwer manipulierbare digitale Form rücktransformiert, hebt heraus, wie die zwischen Schreibenden und Text geschaltete Technologie die buchstäbliche Gegen-Ständlichkeit von einmal Geschriebenem relativiert. Die unmittelbare und unveränderliche Verbindung von Schreibakt und materiell fixiertem Geschriebenen, die sich im poststrukturalistischen Kernkonzept der Spur (trace) ab- und aufzeichnet, ist im Digitalen aufgehoben.

Zwischen den Schreibenden und die Schrift wird mit dem Keyboard, dem Computer und der Bildschirm, wie auch Tofts betonte, eine komplexe technische Schreibinfrastruktur zwischengeschaltet. Die Textproduktion selbst wird im Digitalen komplett technisch medialisiert und in gewisser Weise direkt ein Akt kommunikativer Fernübertragung. Es ist bei der Eingabe egal, ob meine Signale in einem lokalen Speicher oder direkt in einer Cloud abgelegt werden.

Ein interessanter Gesichtspunkt, der in der Medientheorie der 1990er Jahre sehr deutlich hervortrat, ist die daraus entstehende Unsicherheit gegenüber der Textstabilität und der Manipulierbarkeit von Geschriebenem. Man kann natürlich auch danach fragen, wie zutreffend die Bezeichnung „Schrift“ in diesem Kontext überhaupt noch sein kann. Etymologisch ist das Schreiben eine ein Material prägende Tätigkeit (Duden: „mittelhochdeutsch schrīben, althochdeutsch scrīban < lateinisch scribere = schreiben, eigentlich = mit dem Griffel einritzen“). Damit ist neben dem symbolischen Gehalt eben auch eine einzigartige Formgebung vorhanden.

Bei digitalen Texten sind Form und Symbol vollständig getrennt. Die Ausgabe in einer bestimmten Schriftart erfolgt als Programmanweisung während der Darstellung. Sie könnte problemlos auch anders ausfallen. Es gibt keine eigentlichen Typen mehr. Das Geschriebene verliert auf der Formebene also auch das ihm ursprüngliche Typische.

Dass es in den Geisteswissenschaften dort, wo die Verbindung von Form und Inhalt nicht gleichgültig ist, sondern gerade das Erkenntniselement ausmacht, durchaus Vorbehalte gegenüber einer Kultur in e-only gab und gibt, wird vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Dieses Disziplinen erleben nicht nur eine Veränderung ihre Kommunikationsmedien sondern sehen mehr oder weniger direkt ihren Kern betroffen. Dass ihre Vertreter eher cyber-skeptisch eingestellt sind, sollte eigentlich nicht überraschen. Wo sich die Bedingungen für die Abbildungspraxen der Kultur derart massiv verschieben, sind nicht nur sie herausgefordert.

Tatsächlich erweist sich die oft geäußerte Gleichsetzung der Wirkung der Erfindung der digitalen Schrift mit der Erfindung der beweglichen Lettern in dieser Hinsicht als überaus zutreffend. Und angesichts der Eminenz und potentiellen Heftigkeit (manche sprechen auch von Disruptivität) dieser Verschiebung, ist es gar nicht verwunderlich, dass wir uns derzeit noch sehr in einer Phase befinden, in der die formale Seite des digitalen Textes zwar sehr reif und elementar standardisiert vorliegt, die inhaltliche Seite aber noch umfänglich an den Prinzipien der Druckkultur hängt. (Wir tippen am Bildschirm aber schreiben doch ein „Buch“.) Vermutlich brauchen wir einen entsprechend gebremsten Wandel, um uns in dem Umbruch, den das Digitale für die kommunikative Leitform unserer Kultur, die Schrift, bedeutet, überhaupt sinnvoll orientieren zu können. Die neuen Texte, also die (von) der Technologie unverwechelbar eingeschriebenen Formen dessen, was vielleicht nach der Schrift kommen wird, entfalten und konsolidieren sich, wie bei Medienrevolutionen üblich, vermutlich erst nach und nach.

Das Fu-PusH-Projekt wird sicher auch nicht vollauf belastbar ermitteln können, wohin sich dies im Zusammenhang mit dem geisteswissenschaftlichen Publizieren und Kommunizieren entwickelt. Eigentlich muss man sogar umso zurückhaltender mit Aussagen werden, je mehr man sich mit dem Thema befasst. Aber möglicherweise ist ja bereits die Verständnisarbeit an dem, was in der aktuellen Transformationsphase geschieht, sind schon das Feststellen gegenwärtiger Entwicklungen auf diesem Feld und die Explizierung dessen, was sich vollzieht, wichtige da bestimmte Entwicklungen buchstäblich realisierende Beiträge unseres Projektes.

P.S. Für die Suchmaschinen, das Copy & Paste und digitale Manipulation in der Anzeige hier das Zitat Mark Posters als abgetippter Code:

Compared to the pen, the typewriter or the printing press, the computer dematerialises the written trace. As inputs are made to the computer through the keyboard, pixels of phosphor are illuminated on the screen, pixels are formed into letters. Since these letters are no more than representations of ASCII codes contained in Random Access Memory, they are alterable practically at the speed of light. The writer encounters his or her words in a form that is evanescent, instantly transformable, in short, immaterial. By comparison, the inertial trace of ink scratched by hand or pounded by typewriter keys on to a page is difficult to change or erade. Once transformed form a mental image into a graphic representation, words become in a new way a defiant enemy of their author, resisting his or her efforts or redistribute them.“

(Mark Poster, 1990, zitiert bei Tofts, 1999 S. 10)

7. Januar 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden
Veröffentlicht unter Literaturbericht

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