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Die Hand und das Digitale. Aktuelle Werkzeuge zur Übertragung von Handlichkeit in die Cloud.

Sehr häufig sind bei der Betrachtung des Verhältnisses von analog zu digital gerade die Schnittstellen interessant. Digitale Technologien bzw. Geschäftsmodelle, die auf analogen Praxen aufsetzen, sehen sich häufig herausgefordert, hier möglichst weiche und für die Anwender aufwandsarme Übergänge zu schaffen. Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei das Erzeugen von Zeichen bzw. Bildern mit der Hand. Christoph Schmälzle berichtete am vergangenen Mittwoch im Wissenschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Die sehende Hand“ von einer Tagung, die dieses Thema umkreiste:

„Im Anschluss an den Zoologen Gerhard Neuweiler wies [Horst] Bredekamp der motorischen Intelligenz nun eine gattungsgeschichtliche Schlüsselrolle zu: „Handlichkeit“ ist demnach die zentrale Möglichkeitsbedingung für die Entfaltung des Denkens. Mit Blick auf die Zukunft muss offenbleiben, inwiefern das Wischen auf Bildschirmen dieselbe evolutionäre Dynamik entfalten kann wie traditionelle Formen des differenzierten Fingergebrauchs, etwa Zeichnen oder Klavierspielen. Auffällig ist jedenfalls der Befund, dass die neuen Medien die Haptik der alten zunehmend imitieren, sei es aus Akzeptanzgründen, sei es, weil daran nichts mehr zu verbessern ist.“ Christoph Schmälzle: Die sehende Hand. [Bericht zum Symposium “Don´t touch! Touch screen!”] In: FAZ, 15.04.2015, S. N3)

Wie diese Imitation aussehen kann, zeigt unter anderem die Geschäftsidee von FiftyThree. Bei ihr wird nicht mehr gewischt, sondern mit einem aus Walnussholz geschnitzten Stift direkt auf dem iPad per App gezeichnet. Das Gefühl der Handlichkeit wird halbwegs bewahrt, auch wenn die Widerständigkeit des Zeichenmaterials in diesem post-materialen Szenario nicht der des Papiers entspricht. Die Anwendung zeigt zugleich, dass vermutlich eher das Konzept der Computermouse als Interaktionsmedium mit digitalen Werkzeugen verschwinden wird, als die Idee des Stiftes, die sich in solchen Ideen wiederbelebt findet.

Mix by FiftyThree / Create Together from FiftyThree on Vimeo.

Wer dagegen nach wie vor auf Papier schreiben oder zeichnen will, findet mittlerweile selbstverständlich ebenfalls Dienstleister, die die Übertragung ins Digitale übernehmen. Die Idee der der Mod Notebooks der Firma Need/Want adressiert die Frage, wie man die in den nach wie vor besonders im Moleskine-Format äußerst populären klassischen Notizbücher enthaltenen Notizen, Skizzen, Entwürfe dauerhaft in einer Cloud digital archivieren und zugänglich halten kann. Die Lösung dürfte auch die Post freuen: Man sendet das Notizbuch einfach an den Anbieter, der die Digitalisierung übernimmt und das Analogprodukt im Anschluss wahlweise dem Urheber zurückschickt oder recycelt. Das ganze Dienstleistungspaket (Buch, Porto, Digitalisierung und offenbar auch dauerhaftes Hosting) kostet derzeit $29. Ein klassisches Moleskine-Notizbuch kostet etwa die Hälfte. Allerdings hat Moleskine vermutlich nicht zufällig Mod-Notebooks, so genannte Livescribe-Notebooks, im Sortiment, die funktional ein wenig zwischen dem Graphite-Stift von FiftyThree und eben den Mod-Kladden liegen. Hier wird mit einem – separat erhältlichen und vergleichsweise dann doch eher teuren Smartpen – zugleich auf Papier und per App auf dem Tablet dokumentiert, was die Hand so zu zeichnen hat.

Die Sinnlichkeit der Kreation per Hand ist, wie man sieht, folglich nicht notwendig allein an das Papier gebunden und das Wischen über den Touchscreen als eher grobe Interaktionspraxis nicht der digitalen Taktilität letzter Schluss. Und vermutlich befinden wir uns erst am Anfang einer, wenn man so will, digitalen Sinnlichkeit. Denn das Handliche ist am Ende der auch nur eine Variante auf der Beziehungslinie von Körper und Kognition. Und so fragte man auch folgerichtig nach der Tagung, von der die FAZ berichtete:

„Und spätestens seit Ferran Adriàs Einladung zur Documenta 2007 ist das Kulinarische, der Geschmack in seiner elementarsten Form, im Kunstbetrieb angekommen. Eine weitere Frage lag in der Luft: Wo bleibt – nach Auge, Hand und Mund – die Nase?“

(bk / 20.04.2015)

20. April 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden | 2 Kommentare »
Veröffentlicht unter Werkzeuge

Materialität, Digitalität und die Frage nach dem Status des Dokuments

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Über Twitter verbreitet sich momentan der Call for Papers eines Symposiums des Digital Humanities Incubator (DHI) der School of Culture and Communication, University of Melbourne mit dem Titel „Digital Densities: examining relations between material cultures and digital data“. Der Themenkomplex klingt für die Auseinandersetzung mit den Fragen zukünftiger Publikationsformen in den Geisteswissenschaften augenblicklich hoch interessant. Der Veranstaltungsort ist jedoch eben Melbourne und die damit verbundenen Reisekosten verhindern leider eine teilnehmende Beobachtung. Einen Hinweis darauf wollen wir dennoch hier hinterlassen.

Die Beschreibung zum Call verweist auf einen Aspekt, den die Digitalisierung der Kommunikationsstrukturen und, wenn man so will, die digitale Laboratorisierung bestimmter Teile geisteswissenschaftlicher Forschung fast im Sinne eines neuen Gegenstandsbewusstseins nach sich ziehen. Das Digitale führt in (oder erzwingt sogar) eine Neubewertung des Materialen, schließt einen bereits an sich gegebenen „Material Turn“ an, bei dem die Vielfalt der Relationen zwischen einem Objekt in der Vielfalt seiner Bedeutungs- und Interpretationsgehalte, sozialer Funktionen und eben der materialen Beschaffenheit in den Mittelpunkt rückt. Diese Frage nach dem materiellen Status digitaler Objekte (und damit buchstäblich ihrer Gegenständlichkeit) ist nun auch der Ausgangspunkt des Symposiums:

„The ‘material turn’ in Humanities research has seen a celebration of the physicality of things and a revaluing of the weight of experience, including in the case of digital data.”

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